23.01.2019 (Mittwoch)
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Liebes Kraftwerk Lünen,
nun ist die Zeit des Abschieds gekommen, mein Freund. Ich danke dir für alles.
In den späten 1970ern stand ich das erste Mal vor deinen Toren. Da gab es dich schon gut 40 Jahre lang. Auf einer Radtour führte mein Vater seinen technisch interessierten Sohn vor deine Mauern. In dir tobte im Großen, was das Spielzeug daheim im Kleinen abbildete.
Von 1984 bis 1988 gehörte ich zu dir und du zu mir. Du hast mich gelehrt, geprägt und geformt. Durch dich wurde ein Kind des Ruhrgebiets zu einem Mann des Ruhrpotts. Du fordertest von mir harte Maloche und Arbeit mit den Fingespitzen, in Kohlenstaub und in Reinraum, mit Verbrennungsschlacke und mit destilliertem Wasser, in der Hitze des Kesselhauses und in der Winterkälte auf dem Ausleger des Kreislagers, tausende Volt hier und tausendstel Volt dort.
Du machst ein großes Stück meiner Wurzeln aus, denn du hast fortgeführt, was meine Eltern begonnen hatten. Alles neue Wissen, jede neue Erfahrung ging und geht auch durch diese Wurzeln hindurch. Wo ich heute stehe, das fußt auf der einstigen Erfahrung mit dir. Ich bin längst kein Malocher mehr, und doch ein Malocher geblieben. Ein Wandler zwischen beiden Welten. Deinen Anteil daran habe ich nie vergessen.
Das Image deinesgleichen bröckelt seit Jahren. Die Welt hat sich gewandelt, das Ruhrgebiet auch. Unsere Kohle ist Geschichte. Die Stätten ihres Abbaus und ihrer Verwertung werden zu Denkmälern aus einer vergangenen Epoche. Wenn ich dürfte, würde ich bestimmen, dass du ein Denkmal bleibst für alle Zeit. Eine Landmarke, die mir bis weit in die umgebende Region zeigt: Dort bin ich zuhause.
Deinen jüngeren Bruder am benachbarten Stummhafen habe ich nie gemocht. Ich mag auch nicht, dass er dich nun überlebt. Äußerlich fehlt ihm dein Profil, innerlich dein Charakter.
Lebwohl, Kraftwerk Lünen.
Ich werde dich vermissen.
Wolfgang Schmidt-Sielex