21.08.2017
(veröffentlicht am 15.09.2017)
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Die große Sonnenfinsternis 2017 ist nun fast vier Wochen her und im Alltag vieler Menschen, gerade in Europa, bereits wieder in Vergessenheit geraten. Eine Gruppe von fünf Personen aus Lünen hat das Ereignis aber noch sehr präsent vor Augen. Sie reiste im August in die Vereinigten Staaten von Amerika, um nicht nur einen Teil des Kontinents, sondern auch das besondere Himmelsspektakel zu erleben.
Der Film "Sonnenfinsternis 2017" auf Vimeo (externer Link)
Zur großen Sonnenfinsternis in Deutschland im August 1999 bediente
ich mich noch der von mir leicht abgewandelten Worte von Adalbert
Stifter (Wien, 1842): "Es war, als hätte Gott ein deutliches Wort
gesprochen, aber wir haben ihn nicht verstehen können." Bis wenige
Sekunden vor der totalen Verfinsterung hatten wir Finsternistouristen
damals durch eine dünne Wolkenschicht die Möglichkeit gehabt, die
schmaler werdende Sonnensichel zu beobachten. Der Blick auf die komplett
verdunkelte Sonne war uns allerdings durch den Wolkenschleier verwehrt
geblieben und für mich war die Erfahrung weitgehend enttäuschend in
Erinnerung geblieben. Ich hatte mir einen einzigartigen Blick auf die
schwarze Sonne erhofft und durfte sie nicht erleben.
Vor einigen Jahren startete nun die Planung für die große Reise 2017, die mein zweiter Versuch werden sollte, eine totale Sonnenfinsternis zu erleben. Die Finsternis fiel in die Schul- und Semesterferien, sodass Vater und Sohn entspannt planen konnten. 2016 wurde die Planung auf drei weitere Mitreisende ausgedehnt. Aus der ursprünglichen Trekkingplanung nahe der Rocky Mountains wurde ein Sightseeing-Trip durch die zentrale Tiefebene der USA, dies allerdings zu Ungunsten einer höheren Wolkenwahrscheinlichkeit am Finsternistag (von 20 auf 50 Prozent).
Am Morgen des 21. August 2017 befanden wir uns in St. Louis, Missouri nur wenige Kilometer nördlich der Finsterniszone. Plan war, vormittags dem Mississippital flußabwärts zu folgen und einen geeigneten Beobachtungsort mit Blick Richtung West-Nordwest zu finden. Auf diese Weise würden wir vor der eigentlichen Finsternis die Verdunklung des Horizonts durch den herannahenden Mondschatten beobachten können. Letztlich fanden wir in der Nähe von Prairie du Rocher, Illinois einen einsamen Uferabschnitt am mächtigen Fluss, dessen gewundene Schleife einen perfekten Blick in die gewünschte Richtung erlaubte. Etwa eine halbe Stunde nach unserer Ankunft begann die gut 90-minütige, partielle Phase der Finsternis, in der sich der Mond langsam vor die Sonne schob.
Das Wetter präsentierte sich zunächst prächtig. Dann aber wurde der nur leicht bewölkte Himmel mehr und mehr von dichter werdender Quellbewölkung abgelöst. Für den Nachmittag waren Gewitter angekündigt. Die Finsternis sollte ihren Höhepunkt gegen 13:17 Ortszeit erreichen. Ab 12:45 begann für uns das Wolkenroulette. Nachdem schon zuvor einige Bewölkung durchgezogen war, schob sich ein riesiger Wolkenturm vor die Sonne, wobei wir grob abschätzen konnten, dass dieser die Sicht vermutlich vor der Totalität wieder freigeben würde. Als sich die Sonne wieder zeigte, hatte sich bereits das nächste "Gebirge" aufgetan und strebte zielgerichtet Richtung Sonnensichel, dies etwa 10 Minuten vor der vollständigen Verfinsterung. Ausläufer der Wolke zogen vor die Sonne, gaben sie wieder frei, verdeckten sie, gaben sie frei. Fünf Minuten vor der Finsternis hatte ich mich damit abgefunden, dass dieses Monstrum die Sonne bedecken würde. Mir war zum Heulen zumute.
Etwa drei Minuten vor der Verfinsterung startete ich an meinem Smartphone eine Videoaufzeichnung und richtete die Kameralinse in Richtung des herannahenden Mondschattens aus. Das Ufer des Mississippi, der ehrwürdige Fluss, dahinter der Horizont mit seinen weit entfernten Wolkentürmen ähnlich dem, der über uns stand. Ich redete davon, wie die Dämmerung sich zunächst am Horizont zeigen würde. Die Sonnensichel schien dabei weiterhin auf uns herab. Irgendwie zerfranste das große Wolkengebilde da oben, sodass das interessante Stück Himmel weiterhin sichtbar blieb. Ich war skeptisch. Ich hoffte. Ich glaubte nicht dran. Ich wünschte und ich fluchte innerlich.
Irgendwann war dann der Moment da, in dem mir bewusst wurde, dass die Sicht frei bleiben würde. Am Rand des Smartphone-Videos hüpft ein unbeholfener 50-jähriger Mann auf dem felsigen Untergrund am Ufer des Mississippi auf und ab und schreit ein paar erstickte "Ja" hinaus in die Natur. Etwa zur selben Zeit regen sich zirpende Insekten und stimmen, getrieben von der eintretenden Dämmerung, einen gewaltigen Chor an. Das Licht wird leicht gruselig. Die Wolke löst sich komplett in Nichts auf. Der Schatten kommt und ist dann plötzlich da. Wir nehmen die Finsternisbrillen ab. Wir staunen. Und diesmal war es so, als hörte ich Gott sprechen. Das schwarze Loch im Himmel war so klein, aber doch so gewaltig, der leuchtende Kranz so unbeschreiblich schön. Wir sahen Sterne und Planeten. Wir sahen Nacht und Tag gleichzeitig und noch viel mehr. Wir verstummten, während die Insekten tobten, als gäbe es kein Morgen.
Dann sickerte das Licht langsam zurück in die Welt, die sich mit
seltsamen Farben zu füllen begann, bevor sie einige Minuten später
wieder wirkte, als wäre nichts gewesen.
45 Minuten später krochen wir im Stau der Finsternistouristen durch den angekündigten Gewitterregen.
Wolfgang Schmidt-Sielex